Teamleitung in der Kinder-, Jugend- und Eingliederungshilfe: Susanne Kühn

"Kein Tag ist wie der andere - das ist schön"

Frau Kühn, Sie sind seit 17 Jahren in den Stiftungen. Wie haben Sie zu uns gefunden?

Das war aufregend! Ich habe Krippenerzieherin gelernt. Mit 20 Jahren bin ich nach Hamburg gegangen, habe eine Anpassungsfortbildung zur Erzieherin gemacht und fünf Jahre im Kindergarten gearbeitet. Mit 24 Jahren habe ich mit einer Freundin dann angefangen zu studieren. Sozialpädagogik. Dann las ich Stellenanzeigen. Eigentlich hatte ich an eine Leitungsstelle im Kindergarten gedacht. Aber die Suche der Alida Schmidt-Stiftung nach einer Sozialpädagogin fand ich auch sehr interessant. Obwohl ich den Bereich gar nicht kannte, war ich neugierig und habe mich beworben. Im Bewerbungsgespräch wurde ich Dinge gefragt wie: „Was machen Sie, wenn sich jemand am Sonntag die Arme aufschneidet“. Da war ich erstmal geschockt. Aber dann durfte ich einen Tag hospitieren. Das war total toll und am Ende des Tages hab ich gedacht: „Ich mach das jetzt, warum nicht.“ Und im Rückblick habe ich das nie bereut. Es ist ein sehr aufregendes und spannendes Arbeitsfeld. Kein Tag ist wie der andere, man weiß nicht immer so genau, was passiert und was man am Ende des Tages geschafft hat, aber das macht nichts und das ist schön. Ich mag meine Arbeit sehr gerne.

Sie sind heute Teamleiterin der zwei stationären Einrichtungen. Wie kam das?

Ich wurde angesprochen, ob ich Teamkoordinatorin werden will und nach meiner zweiten Elternzeit habe ich das dann auch gemacht. Später wurde ich zur Teamleitung. Das war vor fünf Jahren. Ich bin in die neue Rolle hineingewachsen und lerne immer noch.

Was sind die Angebote der stationären Einrichtungen?

In unseren zwei stationären Wohnhäusern in Borgfelde und im Hamm betreuen wir im Bezugsbetreuersystem insgesamt 39 Frauen und derzeit 18 Kinder, die bei uns wohnen. Sie sind entweder schwanger oder bereits Mütter oder sie haben eine psychische Erkrankung. Wir begleiten ihren Alltag mit allem was dazugehört: von der Geburtsanmeldung über Kitaplatz- und Therapeutensuche, von Wohnung putzen bis Müll rausbringen. Die Kolleginnen und Kollegen arbeiten in Früh- und Spätdiensten. In der Nacht haben wir ein extra Nachtbereitschaftsteam.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als Teamleiterin aus?

Ich mache mir einen Wochenplan. Jeweils Dienstag und Mittwoch habe ich Dienstbesprechungen in den stationären Wohnhäusern. Dort reden wir über alle inhaltlichen und organisatorischen Themen, die anstehen. Um diese Besprechungen herum muss ich alles andere unterbringen. Und ganz oft muss ich auch spontan handeln. Ein Beispiel: Wir haben in dieser Woche das Problem zu bewältigen, dass ein Kind eine ansteckende Krankheit hat. Wir müssen mit dem Jugendamt und dem Gesundheitsamt telefonieren, wir müssen Maßnahmen einleiten; dafür sorgen, dass die Mutter mit dem Kind zum Arzt geht, die Wohnung geputzt wird und so weiter. Oder ich bekomme die Nachricht, dass eine Kollegin schwanger ist. Dann muss ich von jetzt auf gleich eine ganze Fülle von Maßnahmen einleiten und überprüfen, ob und wo wir die Kollegin einsetzen können, weil es Vorschriften u.a. vom Amt für Arbeitsschutz gibt, die eingehalten werden müssen. Für den Fall, dass die Kollegin erst einmal nicht einsetzbar ist, müssen wir gucken, wer die von ihr betreuten Frauen übernimmt. Da liegen dann alle anderen Themen erstmal auf Eis und wir müssen reagieren. Und natürlich sind die Kolleginnen und Kollegen immer im Austausch mit mir und es gibt viele viele Kleinigkeiten, die im Laufe der Woche anfallen. Ansonsten bin ich sehr viel mit organisatorischen Dingen beschäftigt und bearbeite täglich sehr viele Mails und telefoniere. Ich kann mich nur wiederholen: Ich finde das alles sehr spannend. Ich lerne in jeder Woche etwas Neues dazu, weil ich mich mit einer Frage beschäftigen muss, die ich noch nicht hatte.

Für wie viele Kolleginnen und Kollegen sind Sie zuständig?

In der Bürgerweide sind es zurzeit zehn Kolleginnen, im Elbschloss sind es sieben, darunter ein männlicher Kollege. Plus Nachtbereitschaften, die Honorarkräfte vom Schulprojekt und aus der Werkstatt. Es gibt vielfältige Dinge zu klären und deswegen bin ich viel mit allen im Austausch, persönlich, per Mail oder Telefon. In der Bürgerweide haben wir zum Beispiel ein Team mit vielen neuen, jungen Kolleginnen, die natürlich Fragen haben. Wenn ich merke, dass es dort irgendeine Problematik gibt, die zum Beispiel in Richtung Kindeswohlgefährdung geht, schauen wir uns das zusammen an und entwickeln Schritte, wie es weitergehen soll.

Fehlt Ihnen Ihr vorheriger Job als Bezugsbetreuerin und das direkte Arbeiten mit den Frauen?

Jein. Ich genieße die Position, ein bisschen von „außen“ zu gucken. Mein Blick ist neutraler geworden. Ich kann dadurch gut Tipps geben und Ideen entwickeln. Ich habe ja trotzdem noch Beziehungen zu den Klientinnen, wenn auch auf einer anderen Ebene. Ich mache ab und zu Vertretungsbetreuung und das ist für mich persönlich eine gute Möglichkeit, immer mal wieder reinzuschnuppern. Aber das darf nicht überhand nehmen, dann geht auch der Blick von außen wieder verloren. Eine Betreuung ist aus meiner Sicht okay, aber ansonsten zerreißt man sich und wird keiner Aufgabe gerecht.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit am besten?

Die Vielschichtigkeit, außerdem finde ich es sehr interessant, wie Teams funktionieren, wie man sie führt, wie wir gut zusammenarbeiten können.

Was ist das Schwierige an Ihrer Arbeit?

Wenn ich z.B. Regularien vermitteln muss und möchte, die nicht so auf Gegenliebe stoßen. Das auszuhalten, finde ich nicht immer leicht. Auch bei einigen Themen aus der Personalführung lerne ich immer noch dazu. Und natürlich gibt es auch schwierige Themen unsere Klientinnen betreffend, z.B. das Thema Kindeswohlgefährdung. Hier gibt es bei manchen Vorfällen keinen Diskussionsspielraum sondern eine Vorgabe, die wir einhalten müssen. Aber immer wieder gibt es auch Vorfälle, bei denen ich das Team mitnehmen möchte, alle Meinungen hören und wir dann gemeinsam eine Entscheidung treffen.

Wie halten Sie die Belastungen aus, die der Beruf mit sich bringt?

Ich kann ganz gut abschalten. Ich habe meine Familie und kann das Setting gut wechseln, mache Sport, bin viel draußen. Das ist ein starker Gegenpol. Aber trotzdem bleibe ich immer mit einem halben Ohr am Diensthandy. Mir macht das nichts aus, das muss aber jeder für sich selbst entscheiden. Ich finde es in Ordnung, wenn ich bei Krisen erreichbar bin und helfen kann.

Sie sind der Stiftung schon lange treu. Warum?

Der Arbeitsplatz ist so vielfältig, dass mir noch nie langweilig war. Und die Stiftung ist ein guter Arbeitgeber. Ich habe immer das Gefühl, dass ich mich weiterentwickeln kann. Auch Weiterbildung ist immer möglich. Ich habe sogar Coaching bekommen, als ich mich in die neue Rolle als Teamleiterin einfinden musste. Das fand ich großartig, da habe ich sehr profitiert. Warum sollte ich wechseln? Es ist spannend und jeder Tag ist eine neue Herausforderung.

Sie suchen auch selbst neue Mitarbeiter/innen für Ihren Bereich?

Ja. Eins möchte ich dabei betonen: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich eine fachliche Ausstattung – also die Besonderheiten der Kinder-, Jugend- und Eingliederungshilfe - auch noch im Nachhinein zulegen kann. Wichtig ist mir die Grundeinstellung zum Beruf: offen, wach, keine Scheu vor Arbeit, auch in schwierigen Situationen. Auch wortwörtlich: Man muss sich auch mal selbst die Hände schmutzig machen können. Sozialarbeit ist Arbeit vor Ort. Wenn es darum geht, die Wohnung einer Klientin zu putzen, dann sollte man nicht nur sagen, wie das geht, sondern auch mal selbst den Lappen in die Hand nehmen. Wir sind keine Sozialarbeiter, die am Schreibtisch sitzen, sondern wir arbeiten aktiv mit. Wir sind Unterstützer/in und Begleiter/in der Frau. Darum geht es in erster Linie. Und wenn Bewerber/innen das verstanden haben, ist schon viel gewonnen. Inhaltlich und fachlich lernt man dann relativ schnell, was z.B. psychische Erkrankungen ausmacht, wenn man mit den Frauen arbeitet, weil man Fehler macht. Das ist einfach so. Wenn ich eine Schwelle überschritten habe, werde ich es spüren und denken: „Oh, das wird mir beim nächsten Mal nicht noch einmal passieren". Natürlich braucht man eine gewisse sozialarbeiterische Qualifikation, aber Bewerber müssen keine Profis für psychische Erkrankungen oder Mütter sein. Viel wichtiger ist uns die Grundhaltung.

Wie werben Sie für Ihren Arbeitsbereich?

Wir berichten im Bewerbungsgespräch von unserem Arbeitsfeld und wenn wir merken, jemand findet das spannend, dann erzählen wir mehr. Es geht eher um die persönliche Qualifikation: weiß ich, wo meine Grenzen sind; was ich nicht kann, was ich besonders gut kann. Wir werben für die Stiftung mit ihren breitgefächerten Aufgaben im Kinder-, Jugend- und Eingliederungshilfebereich. Vor allem Berufseinsteiger können bei uns unglaublich viel lernen: Betreuung und Umgang von und mit Kindern, Teenagern, Menschen mit psychischer Erkrankung, Elternarbeit, Gruppenangebote und vieles mehr. Wir werben auch mit unserer guten Bezahlung und unseren individuellen Fortbildungsmöglichkeiten. Wir werben mit dem Team – wir sind gut aufgestellt mit jungen aber auch langjährigen Kolleginnen und Kollegen, die Erfahrungen weiterzugeben haben. Gemischt aufgestellte Teams haben einfach mehr Bewegung. Und wir würden uns auch über mehr Männer freuen.

Was war Ihr Highlight in Ihrer Stiftungszeit, liebe Frau Kühn?

Das war eine ehemalige Klientin, die ich lange Zeit betreut habe. Sie ist mit 14 Jahren und ihrem Kind bei uns einzogen und ich habe sie bis in den eigenen Wohnraum begleitet. Sie war schon damals eine kluge Frau, aber sie kam nicht raus aus dem ganzen Klüngel, hatte Schulden angehäuft usw. Obwohl unsere Betreuungsbeziehung schon beendet war, rief sie mich einige Zeit später an und erzählte mir, dass sie gerade die letzte Schuldenrate bezahlt hatte. Wir laufen uns hin und wieder zufällig über den Weg und freuen uns immer sehr, uns zu sehen. Sie hat inzwischen vier Kinder und einen Partner, mit dem sie wohl sehr glücklich ist. Das älteste Kind hat gerade seine Lehre angefangen. Es freut mich immer sehr, so etwas zu hören und zu sehen. Ich glaube schon, dass unsere Arbeit nachhaltig ist und das ist ein prima Beispiel dafür.

Liebe Frau Kühn, vielen Dank für dieses interessante Gespräch, das wir im Oktober 2017 geführt haben.

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