Ich bin OK
Eine Abschiedsrede aus Herbst 2023
Ein Jahr ist es nun her. Ein Jahr, voller Emotionen, Tränen, Selbsthass, Kummer und Zweifel.
Ich weiß noch ganz genau, dass ich mir 2022 sagte „dieses Jahr wird mein Jahr“. Ich hatte Vorsätze und wollte ordentlich durchstarten. Es kam alles anders. Mein ach so strukturiertes Leben und meine Pläne für die Zukunft gerieten ins Wanken. Es war doch alles sonst so geordnet und die Zukunft bereits geplant. Die Listen standen.
Mein damaliger Arbeitgeber baute zunächst 2022 250 Stellen ab, unter anderem meine. Es war nicht rechtens, bekam eine Freistellung und eine nette Abfindung. Anstatt es als eine neue Chance für mich zu sehen, trauerte ich lieber.
Mir fehlte eine Aufgabe am Tag. Ich hatte lange Weile. Ich kannte es nicht, sich einfach auszuruhen und nichts zu tun. Während des Studiums habe ich durchgehend gearbeitet. Ich lebte strukturiert und beständig. Nach dem Studium fand ich direkt meinen ersten Job, wurde abgeworben, baute einen neuen Bereich in einem großen Konzern auf, war 18,5 Jahre mit meinem ersten Freund zusammen, hatten einen Hund, eine Wohnung. Nach außen hin schien alles super. Wir wollten gemeinsam alt werden, ein Haus kaufen….
Es kam anders. Durch Corona 24/7 in der Wohnung, beide nur noch von zu Hause aus gearbeitet, beide gestresst, plus Hund und soziale Isolation über Monate hinweg. Ihr kennt es bestimmt alle noch. Die Streitereien spitzen sich zu, genauso wie mein Weinkonsum.
Ich hielt es in der Wohnung nicht mehr aus. Ich fühlte mich unwohl, unverstanden und quasi überflüssig. Den letzten Streit wollte ich umgehen und packte am 26.10.2022 meine Tasche und wollte „für ein paar Tage zu meiner Schwester“ um nachzudenken. Anstatt nachzudenken, wartete ich auf Nachrichten von meinem damaligen Freund, dass ich wieder nach Hause kommen soll.
Sie blieben aus. Stattdessen sagte er mir, dass uns die häusliche Separierung guttäte. Ihm tat es gut.
Um all dies auszuschalten, weg zu blenden und meine Gefühle zu unterdrücken, war es dann die Flasche Wein die mir über den Tag half. Ich funktionierte und hatte bessere Laune. Ich weinte nicht mehr. Aus der Flasche Wein wurden jedoch 3-4 Schlucke Vodka pro Tag. Es knallte mehr und habe weniger gespürt. Aus diesen 3-4 Schlucken Vodka über den Tag, wurde es schlussendlich eine 1/3 Flasche Vodka auf sehr wenig Nahrung. Über den Tag verteilt, definitiv eine zu hohe Menge für meinen Körper. Ich funktionierte auf einmal nicht mehr. Das gehen fiel mir teilweise schwer, meine Muskeln bauten sich ab, hatte einen erhöhten Ruhepuls, Herzklopfen, regelrechte Panikattacken. Viel schlimmer, dass meine Familie dies miterleben und ansehen musste.
Ich entwickelte ein Problem. Ohne ging es nicht mehr. Das mir so etwas passieren konnte, war mir zu Beginn nicht klar. Quatsch, ich habe doch kein Problem. Ich sagte es mir immer wieder. Morgen trinke ich nicht, morgen wird alles anders.
Eines Abends bin ich bewusstlos geworden. Meine Schwester legte mir in dieser Nacht 4 Infusionen, da ich komplett dehydriert war. Sie wusste, dass ich es ihr niemals verzeihen würde, wenn sie den Notarzt rief. Sie tat es nicht und bin ihr unendlich dankbar dafür. Es war mein Weckruf.
Statt mich fallen zu lassen, kutschierte sie mich mehrfach zu Kodrops, machte meine Termine, sorgte dafür, dass ich einen Platz zur Entgiftung bekam und schaute sich vorab in einer Nacht und Nebelaktion das Gelände des Hansenbargs an. Danke B., dass du mich auch dazu gezwungen hast, morgens um 6h anzufangen mit Trinken, damit ich rotze voll über die Notaufnahme aufgenommen werde. Um es mit deinen Worten auszudrücken: Alles fürs Team.
Am 17.07. war es soweit. Ich ging nach Bergedorf in die Betesta und nahtlos am 24.07. in den Hansenbarg. Anfänglich habe ich mich hier nicht gesehen. Es war doch bloß ein dreiviertel Jahr. Was soll ich hier? Ich gehöre hier nicht her. Ich trinke doch nicht so viel wie viele andere hier und das über Jahre.
Ein Irrglaube, den ich nun einsehe und der mir fast das Genick gebrochen hätte. Wer trinkt um Probleme zu vergessen, der jeden Tag trinkt, wenn auch nicht viel, um zu funktionieren, der hat ein Problem.
Revue passieren lassend muss ich sagen, ich hätte mir einfach einen Therapeuten suchen sollen. Ich hätte nicht trinken sollen, ich hätte so vieles anders machen sollen. Hätte, hätte, Fahrradkette.
Jetzt mal ehrlich: Was hat der Alkohol verändert? Der Job war weg, der erste Freund war weg, der Hund und die Wohnung auch. Es ist was es ist. Meine Pläne sind halt nicht aufgegangen. Der Alkohol hat nichts verändert. Die Situation blieb die Gleiche, nur dass ich betrunken war.
An dieser Stelle hätte ich mich bei meinen Freunden und vor allem bei meiner Familie entschuldigt. Entschuldigungen für mein Verhalten und für meinen Fehltritt im letzten Jahr. Eine weise Frau sagte mir jedoch in der Einzeltherapie: „Frau Z., warum wollen Sie sich entschuldigen? Eine Entschuldigung bedingt, dass Sie schuldig sind. Sind Sie schuldig, nur weil es Ihre Art war nach Hilfe zu rufen? Nein!“ Und ich gab ihr Recht.
Demnach möchte ich mich lediglich vom tiefsten Herzen aufrichtig bei einigen Menschen bedanken und nicht entschuldigen.
Der größte Dank geht an meine Familie, an den Freund meiner Schwester, an meine beste Freundin und vor allem an dich, Schwesterherz.
Danke dass ihr mich dennoch akzeptiert habt, mir die Rückenstärkung gabt die ich brauchte und dass ihr das Problem noch vor mir entdeckt habt. Danke, dass ihr mein Burger essen a la David Hasselhoff ertragen habt, meine Fahne, Stimmungsschwankungen und die zahlreichen Tränen die ich wegen einem Typen vergossen habe. Danke, dass ihr mich in den Hansenbarg gefahren habt und danke, dass ihr mir immer noch zur Seite steht.
Danke an meine Schwester und ihren Freund, der dafür sorgte, dass ich nachts 4 Infusionen bekam und nahtlos in den Hansenbarg kam. Es war magisch.
Auch wenn mein Start im Hansenbarg die ersten 4 Wochen nicht besonders gut lief, wer hätte gedacht, dass ein BMI so viele Stolpersteine zu bieten hat, möchte ich mich ausnahmslos bei allen Mitarbeitern bedanken:
Angefangen bei Herrn L., S. und den Küchenfeen. Danke für viele Extrawürste, wenn ich wieder einmal das Gericht umgeschmissen habe, vielen lieben Dank für die Freundlichkeit die an den Tag gelegt wurde und für das Bewirten.
Auch den Reinigungskräften, der Wäscherei (besonders Frau F., die gute Seele des Ganzen), der Verwaltung, den Sozialpädagogen, der Physio, Herrn Dr. S., Frau Dr. S. und der Medizin möchte ich danken. Ganz besonderen Dank geht an Herrn G., Frau H. und Herrn T., die so liebevoll meine Pakete entgegengenommen haben, auch wenn es häufig wie eine About-You-Packstation aussah.
Ich hoffe, dass irgendjemand von euch Herrn M. bei der Nachtschicht mit 1-2 Pakete Salzstangen versorgt, wenn ich nicht mehr da bin. Die knuspert er so gerne.
Frau H., der „bezaubernde Engel“, wie wir sie so schön nennen, liebt Pralinen in jeglichen Formen.
Lieben Dank an Frau P., die mir die Natur noch nähergebracht hat und die mit so viel Elan und Motivation das Gelände pflegt. Ich kann mittlerweile Blumen von Unkraut unterscheiden.
Hervorzuheben sind allerdings Frau S. und Frau W., ohne die ich wahrscheinlich lange nicht mehr hier wäre und die Therapie nicht zu Ende machen hätte können. Danke, dass Sie sich für mich eingesetzt haben als es nötig war, danke für die Extrameile die gegangen wurde, auch wenn diese wahrscheinlich nicht in der Jobbeschreibung stand. Lieben Danke für die zahlreichen, liebevollen Gespräche und danke, dass Sie mir aufzeigten, wo meine Stolpersteine liegen. Ich werde dieses Engagement und Sie nie vergessen.
Lieben Dank auch an Frau B. die mich so schön massiert und getaped hat.
Weiterhin möchte ich der gesamten Gruppe 8 danken und vielen, vielen Patienten, die mich hier wirklich sehr prägten und auch teilweise nicht mehr da sind: Angefangen bei den so wundervollen Herzmenschen wie M., H. und K., bei K., die mich seit meinem ersten Tag hier begleitet und so oft zum Lachen gebracht hat, bei C., F. und S.. Lieben Dank auch an A., die mir auf rabiate Art und Weise zu neuen Denkanstößen verhalf, an C. meiner neuen Zimmernachbarin und persönlichem Shoppingcenter. Danke, dass ich deinen Kühlschrank mit nutzen durfte J
Last but not least geht mein Dank an einen ganz besonderen Menschen, ohne den ich in vielen Situationen hier verzweifelt wäre. Danke, dass du immer ein offenes Ohr und eine breite Schulter zum Ausweinen hattest. Danke, dass du mich in so vielen schwierigen Situationen aufgefangen, gerettet und auch aufgeheitert hast. Es war die Rückenstärkung, die ich dringend brauchte, die mich hoffen ließ und die ich jahrelang sehr vermisst hatte. Danke, dass du mir mein Selbstwertgefühl zurückgegeben hast und ich dir ausnahmslos vertrauen konnte.
Danke dass du weiterhin mit mir Backgammon gespielt hast, obwohl du den Hansenbarg mit einem Spielstand von 68:11 verlassen hast. Danke, dass du da warst, wenn es bei mir drunter und drüber ging. Danke für alles J., ich glaube, du weißt was alles gemeint ist.
4 Monate später kann ich nun sagen, dass 2023 doch noch schön enden kann. Vielleicht wird ja 2024 mein Jahr und ich hab die Chance, noch einmal von vorne anzufangen. Das zu tun, worauf ICH Lust habe und nicht was andere wollen. Es ist was es ist und das erste Mal in meinem Leben habe ich keinen Plan. Ziemlich beunruhigend für mich und für alle die mich kennen. Es ist aber ok.
Ich gehe nun mit erhobenen Hauptes nach Hause. Im Gepäck viel Motivation, Ambitionen, neuen Ansichten und Denkverhalten. Lieben Dank an den Hansenbarg, dass ihr mir das Handwerkszeug für die Zukunft an die Hand gegeben habt und ich mich nun mehr reflektiere.
Auch wenn der Grund für den Aufenthalt hier nicht der schönste war, der mir unheimlich unangenehm ist, ziehe ich so viele positive Aspekte aus dieser Therapie heraus. Eine Auszeit und Erklärungen, die ich dringend nötig hatte.
Ich habe gelernt, dass man nicht jedem gerecht werden muss, dass man nicht von jedem gemocht werden muss, dass man nicht perfekt sein und die Beste sein muss. Es ist ok, solange ich mit mir ok bin. Und das bin ich. Heute kann ich sagen, ich bin ok.
Euch allen wünsche ich hier eine tolle Zeit. Bleibt sauber, seid lieb zueinander, unterstützt euch gegenseitig und haut euch nicht gegenseitig in die Pfanne. Wir sitzen alle im selben Boot. Nimmt so viel mit wie ihr könnt. Unterhaltet euch mit den anderen Patienten, unternehmt etwas zusammen. Die Therapie geht auch nach dem Wochenplan weiter. Wenn ihr euch darauf einlasst, lohnt es sich wirklich, auch wenn die eine oder andere Regel wirklich unnötig ist.
In diesem Sinne sage ich: Ciao Kakao, macht es gut, genießt euer Wochenende und „the winter is coming“.