Aus Steinen im Weg etwas bauen
Eine Abschiedsrede aus 2017. Wir haben alle Namen zum Schutz der Personen entfernt.
Sehr geehrtes Hansenbarg Team, geschätzte Mitpatienten und Mitpatientinnen.
Für mich sind die letzten Tage angebrochen und dann ist mein 10-wöchiger Therapieaufenthalt hier vorüber.
Ich habe aus diesem Grund ein paar Zeilen verfasst um mich zu bedanken, Euch an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen und um mich am Ende natürlich sehr gerne von Euch zu verabschieden.
Ich kam Anfang 2017 hier in diese wunderschön gelegene Klinik, nachdem ich über 20 Jahre Rauschmittel in schädlichem Ausmaß konsumiert hatte. Am Anfang war es Cannabis und im Laufe der Jahre kamen Kokain und Alkohol dazu.
So habe ich wie alle Patienten hier den Geist des Rausches zu oft aus der Flasche gelassen und er wollte nicht zurück sondern hat sich stattdessen in meinem Leben und Alltag breit gemacht. Ich war die letzten Jahre nicht mehr imstande selbstbestimmt und frei zu leben. Es war ein Leben im Nebel wo ich mit sehr viel Anstrengungen nur funktionieren konnte. Für zukunftsorientierte Selbstverwirklichung war kein Platz es ging immer nur noch um den Moment!
Das führte dazu, dass ich im letzten Jahr eine psychosomatische Belastungsstörung mit Auto-Aggressionen bekam und mich dazu entschloss meinem Leben eine Veränderung zu geben.
Ich machte einen qualifizierten Entzug im X und danach ging ich für 6 Wochen in die Tagesklinik X. Die Suchtmittel verschwanden aus meinem Körper und ich fühlte mich von Tag zu Tag besser.
In dieser Zeit arbeitete ich daran, den Geist wieder in die Flasche zu bekommen, was mir auch zu großen Teilen gelungen ist.
Nun lassen sich 20 Jahre Konsumverhalten nicht in ein paar Wochen rückgängig machen und ich entschloss mich noch eine Therapie zu machen, um diesen Geist rückstandslos wieder in die Flasche zu bekommen und im besten Fall auch noch mit einem dicken Siegel zu versehen.
So kam ich also in diese Klinik und war fest entschlossen jede Möglichkeit zu nutzen um diese teuflische Krankheit ganz und auch für die Zukunft zum Stillstand zu bringen.
Ich machte zusätzlich zum normalen Therapieprogramm drei Maßnahmen für mich aus, die meinem Leben ein anderes Aussehen und ein neues Lebensgefühl vermitteln sollten:
- Ich besuchte gleich von Anfang an die Kaminabende bei Frau X, der ich an dieser Stelle schon mal sehr für ihr Engagement danken möchte!!! Bei diesen Kaminabenden fand ich eine für mich besonders wertvolle spirituelle Unterstützung. Der Glaube an uns selbst steht in direktem Zusammenhang mit dem erreichen unserer Ziele und Wünsche. Der Glaube an Gott oder eine höhere Macht wie auch immer Du sie nennen möchtest ist, in einer Gemeinschaft erlebt, sehr zuträglich wenn man den Glauben an sich selbst wieder erlangen möchte. Das könnt ihr MIR glauben!!!
- Ich fing an zu trainieren meinen inneren Schweinehund zu überwinden. Das tat ich indem ich morgens als erstes eiskalt duschte und danach noch vor dem Frühstück einen kleinen Workout machte. Die Überwindung die ich dazu aufbringen musste wurde von Tag zu Tag geringer und so setzte ich jeden Morgen den Akzent, dass ich mich überwinden und aufraffen kann. Unangenehme Dinge die den Tag über noch kamen waren so viel leichter zu meistern. Meine körperliche Leistungsfähigkeit hat sich nebenbei auch natürlich deutlich verbessert. Außerdem trainierte ich meine Leidensbereitschaft in der Sauna indem ich halt nicht beim ersten „boah jetzt aber raus“ nachgab. Ein bisschen aushalten noch sagte ich mir in diesen Momenten. Und ein bisschen ging meistens auch noch!
- Ich suchte nach Möglichkeiten wie ich meine bisherigen Gewohnheiten in der Ernährung verändern konnte. So überwand ich meinen bisherigen Ekel und fing an Pilze zu essen. Sie schmecken mir zwar immer noch nicht besonders aber ich kann sie jetzt essen. Jedes Mal wenn ich das tue, überkommt mich ein bisschen der Stolz über mich selbst und mir wird ganz deutlich bewusst, dass es auch anders geht als früher. Außerdem habe ich als bisheriger leidenschaftlicher Fleischesser jedes Mittagessen bis auf zwei Mahlzeiten vegetarisch gegessen und ich sage Euch: Jedes Mal war in mir diese leise Stimme die sagte „Klasse - Du kannst auch anders.“
Natürlich hatte auch ich hier schwierige Tage, so hatte ich mit Anfeindungen, Beleidigungen und auch vorsichtig ausgedrückt übler Nachrede zu tun. In diesen Momenten habe ich gelächelt und mir bewusst gemacht das ich nicht hier bin um zwanghaft Freunde zu finden oder mich in Konflikten zu eskalieren.
Bruce Lee sagte einmal sehr trefflich: Wenn Du angegriffen wirst scheinst Du ja etwas richtig zu machen - denn es wird nur der angegriffen der den Ball hat.
So blieb ich ruhig, vertraute darauf, dass die Therapeuten die Sachlage schon durchschauen und bekam von diesen Menschen die mir zuerst Schaden wollten noch ein Sprungbrett geliefert an dem ich selber wachsen konnte. Geschadet haben sie letzten Endes sich selbst indem sie sich nicht auf ihre Therapie konzentriert haben und die Wahrheit ganz von alleine an das Tageslicht kam.
Wie ihr an diesem Verlauf seht ist nicht jeder Ärger und Stress ein Grund zu verzweifeln und den Mut zu verlieren sondern es ist auch eine Möglichkeit zu lernen und zu wachsen. Eigentlich ist es nur eine Frage der inneren Haltung und das gelebte Bedürfnis seine wahren Ziele nicht wegen der Einmischung anderer aus den Augen zu verlieren.
So liebe Leute das war und ist meine Erfahrung und der Weg meiner letzten 7 Monate, der dazu geführt hat das sich mein Leben jetzt sehr anders und viel besser anfühlt als es noch vor meiner Entgiftung der Fall war.
Ich empfinde mich selber als sehr gut aufgestellt und ich verspüre eine wahre Leidenschaft dafür clean zu bleiben. Mein Verstand ist klar und meine Merkfähigkeit verbessert sich immer noch von Tag zu Tag. Ich brauche mich nicht zu verstecken wenn mir etwas nicht passt, denn ich habe kein Handicap mehr wo ich befürchten muss , dass es aufgedeckt wird wenn ich mal aufbegehre.
Mein Clean sein ist mein größter Schatz und er wird grösser mit jedem Tag. Wenn es darum geht diesen Schatz wieder zu verlieren an dieses leidliche Leben eines Süchtigen, dann werde ich diesen Schatz verteidigen wie eine Löwenmutter ihre Babys, das habe ich mir geschworen.
So und nun am Ende vor meiner kurzen Danksagung würde es mich sehr freuen wenn für den einen oder anderen vielleicht eine Inspiration dabei war, die ihm oder ihr weiter hilft - letztendlich haben wir ja alle das gleiche Ziel! Und Wissen ist dazu da um weitergegeben zu werden. Nun spreche ich noch meinen Dank aus an:
An meine Therapeutin, die mir mit ihrer Auffassungsgabe und ihrer Professionalität sehr viel Selbsterkenntnis und Selbstwertgefühl vermitteln konnte.
An eine weitere Therapeutin, durch die ich gelernt habe, das eine Person im Inneren durch mehrere Mitspieler dargestellt wird. Ich konnte meine benennen und zu wissen wer da gerade das Wort ergreift ist mir in Zukunft sehr hilfreich dabei nachhaltig und kraftvoll zu kommunizieren.
An den Chefarzt, der sich immer Zeit genommen hat wenn man ein Anliegen hatte.
An noch eine andere Therapeutin, die mit ihrer freundlichen und schlagfertigen Art auf alle Fragen eine plausible und zufriedenstellende Antwort parat hat.
Natürlich an meine Gruppe in der ich Verständnis, Freundschaft und Zuspruch erfahren durfte.
Und selbstverständlich allen hier im Haus, die meine Therapie zu einem Erfolg für mich gemacht haben!
So und jetzt schließe ich mit einem Zitat von Erich Kästner:
Auch aus den Steinen die dir in den Weg gelegt werden kannst Du etwas Schönes bauen.
In diesem Sinne:
Alles Gute für Euch!