"Das Leben ist zu kurz für später": eine Abschiedsrede aus 2022
Im Frühsommer 2022 bin ich hier im Hansenbarg eingetroffen, genau wie die meisten von Euch hatte ich nicht den geringsten Schimmer, was mich hier erwarten würde. Doch eines war für mich ganz sicher: ICH würde NICHT die 15 Wochen bleiben, die mir die Rentenkasse genehmigt hat, schließlich steht in der Bewilligung ja: „in Absprache mit dem behandelnden Arzt kann die Therapiezeit entweder verlängert oder VERKÜRZT werden. Das war MEIN Freibrief. Ich bleibe maximal 8 Wochen!!! Diesen Plan vertrat ich auch vehement bei Dr. Stracke und meiner Bezugstherapeutin…und genauso hatte ich es im Vorwege mit meinem Arbeitgeber und dem Suchttherapeuten abgesprochen. Schnell habe ich aber begriffen, dass das Einleben allein ja schon 2 – 3 Wochen in Anspruch nimmt, vom Hören-Sagen wusste ich, dass man sich ca 2 Wochen vor Entlassung schon in Gedanken verabschiedet…..aus dieser Perspektive machten dann 15 Wochen doch Sinn. Fast 15 Wochen liegen nun hinter mir, es folgt eine Wiedereingliederung…mein Arbeitgeber ist nicht begeistert…aber ich bin es, weil es MIR dank dem Hansenbarg jetzt wieder GUT geht!
Denn es ging mir vorher überhaupt nicht gut! Als ich hier ankam, rannte ich wie ein HB-Männchen, ich beschwerte mich darüber dass ich so wenig auf dem Wochenplan hatte, alles musste für mich schnell gehen, effizient, keine Zeit verlieren – wie im Arbeitsleben … und wie zuhause mit Partner, Kindern, Hund, Haus und Garten. Jahrzehnte lautete meine Devise: „Zeit ist Geld, Zeit ist Mangelware“, nutze sie optimal und erledige möglichst viel möglichst schnell – und das fehlerlos! Ich selbst war mein größter Kritiker!
Es hat Wochen gedauert – und mehrere Anstupser von Mitpatienten – bis ich einen Gang runter schaltete, mehr inne hielt. Ich merkte schnell, dass mir das richtig gut tat. Ich verstand, weshalb mein Plan und Tagesablauf nicht lückenlos vollgeproppt war und lernte, die freie Zeit gut zu nutzen: Baustellen abarbeiten, mit Mitpatienten quatschen oder nur relaxen. Von da an änderte sich meine Lebenseinstellung und der Spruch „in der Ruhe liegt die Kraft“ gewann mehr und mehr an Bedeutung für mich. Meine neue Devise lautet nun: „Das Leben ist zu kurz für später“, nutze die Zeit optimal für Dich und in Deinem Tempo, beschäftige Dich mit Dingen, die Du magst, die Du schon immer einmal tun wolltest, genieße die Zeit. Meine Therapeutin zeigte mir auf, dass es ein gesundes Verhältnis zwischen „Sollen“ und „Wollen“ geben muss. Das „Wollen“ muss auf der Waage schwerer wiegen, dann ist unser Leben im Gleichgewicht….und lebenswert. Und sie hat sooooo Recht mit dieser Aussage!
Ich bin mir sicher, dass es nicht leicht sein wird, diese neugewonnene Lebenseinstellung in den Alltag einzubauen – zulange habe ich an alten Mustern festgehalten – und das Arbeitsleben geht ja nun einmal auch für den einen oder anderen weiter, aber es DARF unser Leben nicht dominieren.
Doch die Zeit zu nutzen und zu genießen ist nicht das einzige, das ich hier gelernt habe Ich habe Strukturen gelernt – ich hatte auch zuvor schon Strukturen, aber halt andere – Gruppentherapie, Sport, Ergo, Indikative Gruppen, Ausgabe von Wäsche, Klopapier, Reinigungsmitteln – wöchentlich immer zur gleichen Zeit – wie auf einem Schulstundenplan, Gemeinschaft, Füreinander-da-sein, Vertrauen.
Die beste Therapie aber wart Ihr!!! Die vielen tollen Gespräche in der Cafeteria oder auf dem Raucherplatz – obwohl ich gar nicht rauche….., Gedankenaustausch über Gott und die Welt, Spiele-Abende, 16.30 h – schnell austragen, mit ein paar Leuten rausfahren zum Einkaufen, Kaffeetrinken. Unbeschwert und geschützt vor dem Außen! So hätte es auch für mich noch lange weitergehen können. Aber nun ist es soweit: der Schritt in die Normalität liegt vor mir…und ich bin bereit. Ich habe nun eine klare und ungetrübte Sicht auf meine Zukunft und mir einiges vorgenommen.
„Ich bin hier wie ich ein Alkoholproblem habe!“ Das sagte ich am 20. Mai, am Tag meiner ersten Vollversammlung im Hansenbarg. Heute würde ich sagen: „Ich bin hier, weil ich alkoholkrank bin!“ Ein Problem kann man in der Regel meistens lösen, eine chronische Krankheit nicht. Hier muss man die Realität anerkennen, sie nicht bekämpfen, sondern mir ihr leben. Dass man OHNE Alkohol deutlich BESSER leben kann, durfte ich hier im Hansenbarg erfahren: das Leben ist wieder bunter, lebendiger, kontaktreicher. Alles durchlebt man viel bewusster, man nimmt die vielen Facetten des Lebens endlich wieder wahr und kann sie genießen.
Ich spüre wieder Lebensqualität und dafür möchte ich mich bedanken:
In erster Linie natürlich bei meiner Bezugstherapeutin, Frau K.. Hier habe ich insbesondere von den Gruppentherapiestunden am meisten profitiert. Diese Zeit war nicht nur lehrreich, sondern auch sehr hilfreich für mein weiteres Leben.
Besonderer Dank gilt auch der Physio, Frau G., Frau B., Frau T.: viele Wehwehchen konnten dank Sport und Einzel-Krankengymnastik deutlich verbessert werden.
Dank Frau B. kann ich wieder Bäume ausreißen – fast jedenfalls.
Ein herzliches Dankeschön an die Sozialberatung Frau Sch. und Frau H., ohne die ich wohl nie erfahren hätte, welche Möglichkeiten an Anträgen es denn überhaupt gibt.
Vielen Dank an die Medizin, die ich verhältnismäßig wenig in Anspruch genommen habe, aber die beiden Male, an denen ich sie dringend brauchte, waren sie sofort zur Stelle. Auch hier erfuhr ich eine tolle, kompetente, fürsorgliche und auch herzliche Betreuung.
Auch die AT in der Cafeteria war lehrreich für mich, ein so entspanntes Arbeiten kannte ich bis dato nicht. Es hat mir wirklich viel Freude bereitet und auch sehr viel Spaß gemacht. Vielen Dank Frau F. und Frau O..
Das waren für mich die wichtigsten Anlaufpunkte, aber dennoch möchte ich mich natürlich auch bei allen anderen Therapeuten und der Verwaltung bedanken.
Last but not least die Küche: 3 Mahlzeiten sind für mich reiner Luxus! An Abnehmen war da leider nicht zu denken, aber glücklicherweise habe ich dank Sport und viel Bewegung auch nicht zugenommen. Wer hier meckert und schimpft, tut dies auf SEEEEHR hohem Niveau. Für DAS Budget, das die Küche zur Verfügung hat, wird hier schon einiges geboten. Dafür sollte man sich doch auch manches Mal beim Küchenpersonal bedanken. Von mir an dieser Stelle ein ganz großes DANKE!
Nun muss ich mich doch noch einmal wiederholen: die beste Therapie wart Ihr: ich hab viele Schicksale gehört, mit Euch gelacht und auch viel geweint, Ihr habt mir Eure Lebensgeschichten und Probleme anvertraut – ich Euch meine. Mehr Vertrauen geht einfach nicht – ich weiß, dass ich einige von Euch und auch von den Patientinnen und Patienten, die schon gegangen sind, schon bald im Außen wiedertreffen werde und hoffe, dass diese Freundschaften noch lange, lange halten werden. DANKE AN EUCH ALLE!!!
Genießt Euren Aufenthalt hier in vollen Zügen, nehmt mit, was Ihr könnt und bleibt sauber und trocken im Außen!
Ciao und Auf Wiedersehen – aber hoffentlich nur im Außen!