Lernen ist wie Rudern gegen den Strom: eine Abschiedsrede aus 2022
Hello everybody, ich bin A. aus Berlin und aus der Gruppe 5. Mein Suchtmittel ist Alkohol.
Am 30.11.2022 startete meine Mission im Hansenbarg. Mit Übergewicht, Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen im Gepäck checkte ich ein, angekommen war ich im Kopf aber noch lange nicht.
Meine ersten Eindrücke waren: Wo bin ich denn hier gelandet? Allein schon der nicht endende Franz Barca Weg zum Eingang. Ich sagte zu meiner Frau :“Du Zuckerblume, das ist hier ja am Arsch der Heide. Dit is ja JWD“, also janz weit draußen wie der Berliner sagt. Jetzt liebe ich es.
Die ersten Tage erging es mir wohl wie einigen anderen Patienten auch. Völlig unsicher und kopflos, so richtig braindead, rannte ich umher. Ständig unter Strom, ohne eigentlichen Grund. Das hatte mich die ersten Wochen auch weiterhin begleitet und dann wurde es auch besser. Aber eine Frage beschäftigte mich:
Mein Sohn, der Autist ist, fragte mich: „Papa, darfst du nie wieder trinken?“
Ich konnte ihn nicht antworten. Das hat mich echt beschäftigt. Aber da ist in mir ein Prozess gestartet für den ich echt dankbar bin und ich kann jetzt antworten:
Ich kann nicht nie wieder sagen.
Es gibt ja auch zum Beispiel Ehen die auseinander gehen und der oder diejenige schwört sich: Nie wieder heiraten, um dann zwei Jahre später einen anderen Partner zu ehelichen.
Ich kann aber antworten:
Ich kann es schaffen nicht mehr zu trinken.
Denn: Zu unfassbar geil ist das Gefühl wieder glücklich und zufrieden zu sein. Eine Art von Freiheit gefunden zu haben, ohne einfach nur noch zu funktionieren. Das kannte ich richtig lange nicht mehr. Alleine das die Birne wieder klar ist ohne Klaren zu trinken. Auch das Erlebnis, wieder ein körperliches Gefühl zu entwickeln, ist auch richtig gut. Ich habe hier knapp 14 Kilo abgenommen und den Sport nach langer Sportabstinenz wieder für mich entdeckt. Das möchte ich mir in Zukunft auchsehr, sehr ungerne nehmen lassen. Da ist echt ein Lernprozess gestartet.
Benjamin Britten schrieb: „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man aufhört, treibt man zurück“
In Bezug auf meine Krankheit, der Alkoholabhängigkeit, eine Weisheit die ich nicht vergessen werde.
Dass das Leben nach den Hansenbarg nicht immer Hansapark ist, sollte einem schon klar sein. Ich denke aber, dass ich für das richtige Leben draußen gut gewappnet bin.
Bevor ich gleich zum Abschluss meinen Abschiedsbrief an den Alkohol lese, möchte ich mich bedanken:
Bei den Patienten für wichtige und intensive Gespräche. Mit einigen werde ich auf jedem Fall in Kontakt bleiben. Da können echte Freundschaften entstehen. Hoffentlich findet dieses Jahr das Sommerfest statt. Das wäre eine feine und wichtige Sache. Ähnlich wie bei einem Klassentreffen, nur das hier keiner jemandem etwas beweisen muss, denn der oder diejenige die trocken bleibt, muss keinen etwas mehr beweisen.
Dem gesamten Klinikpersonal, also alles was damit zusammenhängt: Allen Therapeuten die ich kennenlernen durfte, besonderen Dank an Herrn D. und Frau E. für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und wirklich starke Unterstützung, egal ob in Gruppen- oder Einzelgesprächen. Echt bärenstark. Dem Medizinischen Dienst die immer da waren, wenn ich zum Beispiel das Wort Kopfarbeit bei der Arbeitstherapie zu wörtlich genommen habe und auch bei den Ärzten. Da fühlte ich mich sich sehr gut aufgehoben, dem Küchenpersonal für sehr gutes Essen und immer ein netten Spruch auf den Lippen, der Hauswirtschaft für wirklich saubere Arbeit und Freundlichkeit. Der Verwaltung für eine professionelle Abwicklung. Den Arbeitstherapeuten Herrn K., der ein richtig Guterist und Frau P. für ihre freundliche Art und für die Kurzgeschichten zum Wochenende. Und Herrn M. der nicht verstehen kann, dass ich am Mittwoch um 21:00 Uhr Champions League gucke, anstatt im Wald zu arbeiten. Mehr Authentizität und Herzblut geht nicht. Vielen Dank auch an Frau F. für die Ernährungsberatung und an die Ergo. Frau G. vom Sport, die wohl fitteste Frau in der ganzen Region, für ihr Sportprogramm und wirklich professionelle Beratung. Immer wenn sie mich gesehen hatte und ich ankam, sagte sie: “Nein, Herr A. nicht schon wieder Schwimmen“, aber meistens durfte ich.
Und für die Einführungswochen und später NKT Frau v. T. mit ihrer sensationellen Einzigartigkeit. Das passt alles.
Last but not least: Herr Dr. Stracke: Für die professionelle Leitung auch in einer besonders schwierigen Lage der Pandemie und auch natürlich u.a. für das Seminar Depressionsbewältigung.
Echt Top. Falls ich jemanden vergessen habe, dann sorry.
So, nun zu meinen Abschiedsbrief an den Alkohol.
Heute sind wir noch jung an Jahren, ob wir uns noch kennen mit grauen Haaren?
Lieber Alkohol, dieses Gedicht widme ich dir und mir, denn diese zwei Zeilen hat uns lange verbunden. Weißt du noch wie jung wir beide waren, als wir in der Gruppe tranken und jede Menge Spaß hatten? Ok, manchmal ging es ein wenig zu weit, aber fun hatten wir trotzdem. Als wir älter wurden, tranken wir immer noch gerne in der Gruppe, aber auch mit dir allein. Einfach mal abschalten, so haben wir es genannt. Wenn du nicht da warst, habe ich auch an dich gedacht. Später als es mir schlecht ging und ich Angst und Kummer hatte warst du der einzige der bei mir war. Sehr spät merkte ich, dass es vielleicht auch mit dir zusammenhängt und ich fragte mich wie gut unsere Freundschaft wirklich für mich ist. Ich wollte meinen eigenen Weg gehen, doch du hattest allzu oft die besseren Argumente und warst weiterhin präsent. Ich war oft zu schwach um es dir direkt zu sagen, so was wie: “Ich schaffe das alleine. Mir musst du nichts vorgaukeln“. Denn das kannst du so gut wie kein anderer.
Jetzt, genau jetzt, bin ich aber stark und muss dir die Freundschaft kündigen. Du kannst an meine Tür klopfen oder Sturm klingeln, ich werde nicht aufmachen.