,,Ich gehe eine andere Straße" - Abschiedsrede von Frau Sch. aus 2023
Liebe Vollversammlung, Dienstag sind es 14 Wochen her seit meiner Ankunft hier. Ursprünglich waren mir 8 Wochen von der Kasse bewilligt worden und ich habe 2-mal vier Wochen Verlängerung bekommen. DANKE an die Krankenkasse, ich habe diese Zeit dringend gebraucht und auch genutzt. Ich gehe mit gemischten Gefühlen.
Ich war zu Beginn körperlich und psychisch total am Ende und noch einiges hibbeliger als jetzt. Ich bin viel krank gewesen, konnte keine Treppen steigen, habe stark gezittert und konnte auch kaum essen, was sich in meiner Gruppe heute keiner mehr vorstellen kann, der mich jetzt essen sieht.
Die Unruhe ist noch da und bleibt ein Risikofaktor für meine Abstinenz. Sonst haben mich Frau Dr. S. und Frau Dr. C. aber gut aufgepäppelt, vielen Dank dafür. Danke auch an das Team der Physiotherapie, das sich um meinen Rücken und die Verspannungen gekümmert hat, insbesondere an Frau V., meine Physiotherapeutin.
Besonders bedanken möchte ich mich noch bei den Schwestern und bei Herrn Müller aus der Medizin. In der Medizin und vor dem Schwesternzimmer in der Warteschlange habe ich sehr viel Zeit verbracht. Ich bin dort täglich mindesten 3mal aufgekreuzt, Blutdruckmessen „Medikamente holen, Termine machen, Gespräche führen und nicht zuletzt häufig zur Akupunktur, die mir sehr gut getan hat. Solltet ihr auch mal probieren, kann ich sehr empfehlen. Ich bin dort immer und zu jeder Zeit freundlich und kompetent behandelt worden.
Insgesamt wäre ich zuhause nicht wieder auf die Beine gekommen. Ich hatte vor Therapiebeginn und sowieso in den letzten drei Jahren monatelang nur herum gelegen und hatte keine Kraft mehr. Ich sehe in dieser Therapie meine letzte Chance abstinent zu werden.
Es hat hier einige Wochen gedauert, bis ich in der Lage war mich mit Hilfe von meinem Therapeuten und durch die Teilnahme an verschiedenen Indikativgruppen auf die eigentliche Therapie zu konzentrieren. Mit Hr. K. habe ich wertvolle Gespräche geführt und mich mit meiner Psyche und der Alkoholkrankheit ernsthaft auseinandergesetzt. Ich habe gute Denkanstöße bekommen und angefangen einiges in die Tat umzusetzen. Ich weiß, dass alles, was es zu verändern gilt nicht zeitnah geschieht, dass alles seine Zeit braucht, dass das, was ich fast sieben Jahrzehnte gelebt und gedacht habe, nicht in sechzehn Wochen aufzuarbeiten ist.
Insgesamt DANKE an das gesamte Hansenbarg-Team. Wenn nicht alle, vom Reinigungspersonal bis zum Chef an einem Strang ziehen, wird der Hansenbarg nicht funktionieren und die Patienten sich nicht wohlfühlen.
Nach den Anlaufschwierigkeiten habe ich mich hier wohlgefühlt und neben aller Therapiearbeit die wunderschöne Natur genossen. Ich bin viel spazieren gegangen, am liebsten ohne die Begleitung von Mücken und habe auch das tolle Schwimmbad gerne genutzt.
Der Aufenthalt in diesem meist alkoholfreien Umfeld hat mir gut getan. Zuerst hatte ich Probleme Kontakte zu knüpfen. Nachdem ich als Nichtraucherin zunehmend die Räucherhöhlen besucht habe, war auch dieses Problem gelöst. Hier war immer was los.
Am meisten fehlen werden mit meine Mitpatienten. Es war immer jemand da, mit dem man ernsthaft reden oder einfach nur quatschen konnte, manche sind mir ans Herz gewachsen.
Von Anfang an war abends „Kniffeln" oder „Skibpo" spielen fester Bestandteil der Therapie. Meine Therapeuten waren der sogenannte „Bürgermeister" P., der schon Mittwoch entlassen wurde und H.. Danke H., dass du so viel Zeit mit mir verbracht hast. Wir haben viel Spaß gehabt.
Last not least noch ein Dankeschön an meine Gruppe 4. Ich werde euch echt vermissen, auch die konstruktive Kritik einiger Gruppenmitglieder. In dieser Gruppe durfte ich Einiges über mich neu erfahren und Altes wieder entdecken. Meine Funktion als Gruppensprecherin hat mir meine Grenzen aufgezeigt und ich musste erfahren, dass ich nicht das Maß alles Dinge bin und manchmal zickig und dass ich das Altwerden akzeptieren muss, das ist tatsächlich nichts für Feiglinge, aber ich nehme die Herausforderung frisch gestärkt an. Ich habe viel Zuwendung bekommen und habe genossen, dass man mich in die Arme genommen hat, manchmal wenn ich schlecht drauf war oder traurig, oder einfach nur so. Das habe ich zuhause nicht. Ich danke euch von Herzen für alles.
Zum Schluss möchte ich euch noch einen kurzen Text mitgeben, der unsere Biografie ist bzw. werden könnte. Ich hatte diese Zeilen jahrelang über meinem PC hängen und vor einiger Zeit ist er mir wieder in die Hände gefallen.
Ich gehe eine Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig. Ich falle hinein.
Ich bin verloren… lch bin ohne Hoffnung.
Es ist nicht meine Schuld.
Es dauert endlos lange, wieder herauszukommen.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich tue so, als sähe ich es nicht.
Ich falle wieder hinein.
Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein.
Aber es ist nicht meine Schuld.
Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich sehe es.
Ich falle immer noch hinein… aus Gewohnheit.
Meine Augen sind offen.
Ich weiß, wo ich bin.
Es ist meine eigene Schuld.
Ich komme sofort heraus.
Ich gehe dieselbe Straße entlang.
Da ist ein tiefes Loch im Gehsteig.
Ich gehe darum herum.
ich gehe eine andere Straße.
(Portia Nelson)
,,Ich gehe eine andere Straße".
Ich hoffe, dass es mir gelingen wird, diesen Vorsatz endlich in die Tat umzusetzen und wünsche euch allen, dass ihr euren Weg/eure Straße ohne Alkohol finden und gehen werdet, auch wenn noch einige Hindernisse stören könnten.
Ich hoffe noch auf einige schöne, alkoholfreie Jahre und freue mich darauf, nicht ohne Angst bzw. Respekt vor dem kleinen Fiesling, der weiterhin versuchen wird mir das Leben zu versauen.
Tschüss Hansenbarg bis zum Sommerfest.