"Machen ist wie wollen, nur krasser"
Eine Abschiedsrede aus September 2024
Liebe Mitpatientinnen und Mitpatienten, liebe Therapeuten, Küchenhelden, Hauswirtschaftsengel, Physio-Genies, Haustechniker und all ihr großartigen Menschen, die diese fünf Monate zu einer unvergesslichen Zeit gemacht haben und mich durch die Höhen und Tiefen begleitet haben – oder besser gesagt, durch die Achterbahnfahrt meines Lebens.
Ich stehe hier, nach 20 langen Wochen, nach fünf Monaten voller Höhen, Tiefen und dazwischenliegenden Momenten, und kann es selbst kaum fassen. Denn, ganz ehrlich: Wer hätte gedacht, dass ich hier eines Tages vor euch stehe und wirklich auf meine Zeit in der Langzeittherapie zurückblicke? Und das mit einem Lächeln im Gesicht! Aber wie sagt man so schön: "Machen ist wie wollen, nur krasser!" Und Leute, glaubt mir, hier wars wirklich krass!
Und ich habe so viel zu sagen, dass ich kaum weiß, wo ich anfangen soll.
Meine Reise begann offiziell am 14. Mai 2024, aber eigentlich startete sie schon am 20. Juni 2023, als mein Opa, mein Fels in der Brandung, starb. Sein Tod war wie ein Erdbeben in meinem Leben und hat mich völlig aus der Bahn geworfen. Ich, der sich bis dahin immer für einigermaßen stabil hielt, stürzte ab. Und wie habe ich diesen Sturz abgefedert? Mit unzähligen Kartons Wein und noch mehr Flaschen Vodka. Es war ein Wunder, dass ich mich überhaupt noch an irgendwas erinnern konnte. Aber mein Körper, der alte Quälgeist, erinnerte mich schnell daran, dass Alkohol keine Lösung ist – Dann kam der Tag, an dem er schließlich sagte: „Reicht jetzt!“ – Zittern, Atemnot, Schweißausbrüche, ein wilder Cocktail aus Schmerzen, der mich glauben ließ, ich würde gleich den Löffel abgeben. Aber was machte ich? Genau, ich „tankte nach“, denn das war ja mein bester Trick, um die Symptome zu „lindern“. Spoiler: Hat nicht funktioniert.
Anstatt mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauchte, griff ich jedes Mal zu meiner „Lösung“ – also noch mehr Alkohol. Der Gedanke, einen Arzt aufzusuchen oder gar mit anderen Menschen über mein Problem zu reden, war so abwegig, wie morgens um 5 Uhr nüchtern ins Bett zu gehen. Es war die Hölle.
Eines Tages, ich weiß nicht mehr genau wann, in einem Nebel aus Alkohol und Scham, griff ich zum Telefon. Der Held meiner eigenen Geschichte, rief ich meinen Hausarzt an und sagte: „Ich glaube, ich muss ins Krankenhaus.“ Mit 2,86 Promille im Blut und einem Gamma-GT-Wert, der jedes Chemielabor stolz gemacht hätte, marschierte ich ins AK H.. Drei Wochen qualifizierte Entgiftung, Leute. „Qualifiziert“ ist hier das Schlüsselwort, denn was folgte, war die absolute Hölle. Aber, wie ich heute weiß, war es der erste Schritt in ein neues Leben.
Dann kam endlich der Tag, an dem ich im Hansenbarg ankam. Was soll ich sagen? Es fühlte sich an wie der erste Tag in einer neuen Schule – nur mit gefühlt einer Million Regeln. Und natürlich – weil es hier offenbar Tradition ist – musste alles kompliziert sein: kein Sport in den ersten zwei Wochen (was für eine „Erleichterung“, ich war ja so fit), nur ein Raucherplatz (Horror für den Kettenraucher in mir), und die Krönung: Cola- und Schwarzteeverbot auf den Zimmern. Das war für mich, als hätte man mir das letzte Stück Freiheit genommen. Ich dachte nur: „Zum Glück trinke ich keinen Kaffee.“
Aber lasst uns ehrlich sein: Es war nicht alles schlecht. Schon in der ersten Woche durfte ich als Beobachter den berühmten Fachtag erleben. Ihr müsst wissen, das ist hier so eine Art „Hansenbarg auf Steroiden“-Tag. Das ganze Gelände wurde aufgehübscht, und ich dachte, „Wow, das machen die nur für mich? Nett!“ Sogar Wasser im Pool – ich meine, was geht hier ab?! Wird das hier mein neues Leben? Glamour und Poolpartys? Drei Tage hier und schon dachte ich, ich wäre im Wellness-Urlaub gelandet.
Und dann war da diese Krabbelgruppe mit Frau H. Ja, das war der Einstieg in meine therapeutische Reise. Und um ehrlich zu sein, hätte ich es mir nicht besser vorstellen können. Frau H., (wenn Sie das hier hören): Danke für Ihre Geduld und Ihre unfassbare Energie, uns allen zu zeigen, dass man auch in der Hölle tanzen kann.
Ach ja, der 4. Tag war einer für die Geschichtsbücher. Mein Mitbewohner wurde vom Verdacht auf Norovirus getroffen, und was passierte? Ich wurde aus dem Zimmer verbannt. Aber natürlich nicht einfach so. Nein, in einem Ganzkörperanzug, mit Handschuhen, Schuhüberziehern, Schutzbrille und Maske musste ich meine Sachen räumen. Ich sah aus, als wäre ich direkt aus dem letzten Star Wars -Film gesprungen. Pack deine Sachen und zieh um, hieß es. Und, was soll ich sagen? Sein Unglück war mein Glück. Denn ab diesem Tag war ich stolzer Besitzer eines Einzelzimmers mit Balkon! Ein kleines Stück Luxus mitten im Chaos.
Was ich in den folgenden Wochen gelernt habe, war so viel mehr als nur „nüchtern bleiben“. Es war die Reise zu mir selbst. Eine ganz neue Diagnose kam dazu: ADHS. Und lasst mich euch sagen, das war ein Gamechanger. Das „Duracell-Häschen auf Speed“ Es hatte endlich einen Namen. Es war, als hätte ich plötzlich verstanden, warum mein Leben bisher eine einzige Achterbahnfahrt war – und ich saß ganz vorne im Wagen, ohne Sicherheitsgurt. Nun kann ich mich darauf konzentrieren nicht verkehrt zu sein, sondern Neurodivergent oder Neurodivers.
Ich durfte auch viele extra Aktivitäten organisieren: Mario Kart Turniere (eins haben wir nicht ganz fertig gespielt, aber hey, es zählt!), die Fußball-EM auf der Großbildleinwand, Kinoabende, Billardturniere – alles, was uns geholfen hat, den Alltag etwas bunter zu gestalten.
Die Arbeitstherapie in der Cafeteria war für mich wie ein Urlaub. Ich meine, ehrlich, es war eher Erholung als Arbeit. Die „Mütze ab“-Debatte mit Frau F. war allerdings eine echte Herausforderung. Mein innerer Rebell wollte einfach nicht nachgeben. Aber Frau F., ich danke Ihnen für die großartigen Diskussionen über alles Mögliche, von der richtigen Dosiermenge von Kaffee bis hin zu neuen Eissorten und Colabestellmengen. Es war lehrreich und – ja – manchmal anstrengend, aber es hat Spaß gemacht.
Dann war da noch die „Bambusbjörn-Gruppe“ – beim Kartenspielen, Knüffeln, Stricken und Häkeln haben wir nicht nur die Zeit, sondern auch den Stress vergessen. Es war eine Art Therapie innerhalb der Therapie.
Ein riesiges Dankeschön geht auch an Herrn L. und sein Küchenteam. Ihr habt dafür gesorgt, dass ich jeden Tag genug Energie hatte, um diese Therapie durchzustehen – und das ist wirklich eine Meisterleistung.
Und die Hauswirtschaft? Absolute Spitzenklasse! Dank ihnen glänzte dieses Haus an sieben Tagen die Woche wie ein OP-Saal – und glaubt mir, das hat uns allen gutgetan.
Die Physio war ein Highlight. Von Bogenschießen über Curling bis hin zu Volleyball – es gab immer Action. Und dann natürlich die Rückenschulung mit Frau G. Ich dachte kurzzeitig, wir sind hier in einem Bootcamp, aber am Ende habe ich es überlebt – und meine Wirbelsäule hat es mir gedankt.
Besondere Erwähnung verdient mein Therapeut, Herr D. Ja, ich weiß, ich kann manchmal anstrengend sein – ADHS halt – aber Sie haben mich immer auf Kurs gehalten, mir den Kopf gewaschen, wenn es nötig war, und mich in die richtige Richtung geschubst. Danke für Ihre Geduld, Ihren Rat und Ihre Klarheit. Ohne Sie wäre ich nicht da, wo ich heute bin.
Und natürlich darf ich nicht vergessen, Herrn K. zu danken, der in nur drei Sitzungen Dinge erreicht hat, die ich niemals für möglich gehalten hätte. Sie haben einen riesigen Unterschied in meiner Therapie gemacht, und dafür bin ich unglaublich dankbar.
Als ich hierherkam, hatte ich einen festen Plan: Keine Freundschaften. Ich wollte mich ganz auf mich selbst konzentrieren. Nun, das hat nicht ganz geklappt. Denn ich habe hier so viele wunderbare Menschen kennengelernt. Aber besonders zwei von euch möchte ich hervorheben: S und J. Ihr seid nicht nur Freunde geworden, sondern eine echte Bereicherung für mein Leben. Ich bin unendlich dankbar, dass es euch gibt!
Zum Ende hin möchte ich noch etwas vorlesen, das ich in der dritten Woche meiner Anfangszeit hier schreiben durfte, meinen Abschiedsbrief an den Alkohol….
Der Alkohol ob Bier, ob Wein,
er wird geschluckt, immer hinein,
bis er vom Geiste nimmt Besitz,
die Augen groß, die Nase spitz,
ich bin fast blau, die Welt ist schön,
dann woll'n wir mal nach Hause geh'n.
Auch harte Drinks sind voller Tücke,
der Kopf ist leer, es klafft ne Lücke,
ach noch ein Bier, das geht wohl rein,
ein kleines noch, dass muss doch sein,
es rumort im Bauche und im Geiste,
der Mund geht auf, raus kommt nur Scheiße.
Nun ist's genug, jetzt bin ich blank,
die Taschen leer, nichts auf der Bank.
Die Arbeit, Haus und Frau sind weg,
Bei Müdigkeit kein Schlaf im Bett,
Der Alkohol hat mich vernichtet,
drum ist dies nun an dich gerichtet:
Alkohol du böser Geist, auch wenn du mich zu Boden reißt,
versuchst du es auch zehnmal wieder,
ich bleib stehn‘ und reiß‘ dich nieder,
denn ab jetzt sauf ich nie wieder!
Zum Schluss möchte ich sagen, dass ich hier nicht nur jede Menge über den Alkohol und die Sucht gelernt habe, sondern vor allem über mich selbst. Ich habe gelernt, was Achtsamkeit wirklich bedeutet – auch wenn ich das Wort jetzt eine Weile nicht mehr hören möchte – und wie wichtig es ist, sich selbst zu lieben.
Denn am Ende des Tages bin nicht nur ich, sondern auch ihr alle gut so, genau wie ihr seid. Lasst euch das nie nehmen!
In diesem Sinne: Danke, dass ihr Teil dieser verrückten Reise wart. Danke, dass ihr mich begleitet habt. Bleibt großartig, bleibt euch treu, und wir sehen uns.
Denn „Machen ist wie wollen, nur krasser!“ – und ich habe es gemacht!